Zusammenfassung

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die kräftige Konjunkturerholung ins Stocken gebracht, die nach der Coronapandemie eingesetzt hatte. Drastisch steigende Energiepreise haben die Inflation angeheizt und die Kaufkraft der privaten Haushalte geschmälert. Hohe Unsicherheit, insbesondere über die Energieversorgungssicherheit, beeinträchtigt die Investitionstätigkeit.

Die Regierung hat schnell reagiert, um die Energieversorgung zu sichern und private Haushalte und Unternehmen zu unterstützen. Die Entlastungsmaßnahmen beinhalten starke Anreize zum Energiesparen und verbessern das Konsum- und Investitionsklima. Sie könnten allerdings gezielter ausgestaltet werden, um die Kosten für den Staatshaushalt zu begrenzen. Durch Kurzarbeit konnten Arbeitsplätze erhalten werden, es sollten jedoch stärkere Anreize zur Weiterbildung und Arbeitsuche geschaffen werden.

Die Entspannung in den Lieferketten, der hohe Auftragsbestand und die Belebung der Auslandsnachfrage sorgen für eine allmähliche Konjunkturerholung. Die Investitionstätigkeit zieht trotz steigender Zinsen an, weil die Ersparnisbildung im Unternehmenssektor hoch und der Investitionsbedarf für die Verlagerung der Lieferketten und den Ausbau der erneuerbaren Energien groß ist und die öffentlichen Investitionen zunehmen. Die Inflation bleibt hoch, da sich die Entwicklung der Erzeugerpreise nur verzögert in den Verbraucherpreisen niederschlägt und der Lohndruck steigt. Im Jahresverlauf 2023 wird die Inflation infolge restriktiverer geld- und fiskalpolitischer Bedingungen und sinkender Energiepreise aber allmählich nachgeben. Die Reallöhne werden 2024 anziehen und den privaten Konsum wieder ankurbeln.

Eine schnellere ökologische Transformation erhöht die Energieversorgungssicherheit, sie setzt aber mehr Investitionen, Innovationen und unternehmerische Dynamik voraus – Faktoren, die auch die Produktivität und das Wachstumspotenzial stärken. Seit den 2000er Jahren ist aufgrund einer schwachen Binnennachfrage und geringen unternehmerischen Dynamik viel privates Kapital aus Deutschland abgeflossen. Um die Investitions- und Innovationstätigkeit zu beleben und die ökologische Transformation zu beschleunigen, muss die öffentliche Verwaltung verbessert und der Verwaltungsaufwand verringert werden, vor allem im Bereich der Infrastrukturplanung. Forschung und Entwicklung (FuE) müssen wirksamer gefördert werden. Zudem gilt es, den wettbewerbsrechtlichen Rahmen zu stärken und den Zugang zu Finanzierung zu verbessern, um die Hürden für junge und innovative Unternehmen zu verringern.

Die rasche Bevölkerungsalterung verschärft den Arbeitskräftemangel, schwächt das Wachstumspotenzial und erhöht den Druck auf die Staatsfinanzen (Abbildung 1). Zudem beeinträchtigt sie viele Sektoren des Verarbeitenden Gewerbes, die bereits unter den hohen Energiepreisen leiden. Um trotz der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung fiskalischen Spielraum zu wahren, die Produktivität anzuheben und den Lebensstandard zu sichern, sind umfassende Strukturreformen notwendig. Stärkere Anreize für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben sollten durch bessere Fort- und Weiterbildungsangebote und Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitskräfte ergänzt werden. Entscheidend ist auch, das Arbeitsangebot von Frauen und Geringqualifizierten zu erhöhen, die Zuwanderung von Fachkräften zu erleichtern und die Bildungsqualität für benachteiligte Kinder zu verbessern.

Angesichts des großen Infrastrukturstaus und des Investitionsbedarfs für die ökologische und digitale Transformation gilt es, die Ausgabeneffizienz zu steigern, die Ausgaben besser zu priorisieren und Steuervergünstigungen abzubauen. Die Digitalisierung des öffentlichen Sektors ist entscheidend, um den Verwaltungsaufwand zu senken, die Qualität der öffentlichen Ausgaben durch eine gezieltere Ausrichtung und bessere Evaluierung der Maßnahmen zu erhöhen und den Steuervollzug zu stärken (Abbildung 2).

Der haushaltspolitische Rahmen muss angepasst werden. Um dem Investitionsstau zu begegnen, wurden mehrere Sondervermögen aufgelegt. Die über sie getätigten Ausgaben gehen jedoch nicht in den Kernhaushalt ein und verringern so die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse. Sie sollten nach und nach wieder in den Kernhaushalt überführt werden. Dabei sollten aber zugleich die Haushaltsregeln flexibler gestaltet werden, um ausreichende Investitionsausgaben zu ermöglichen. Außerdem sollten Spending Reviews auf allen staatlichen Ebenen besser im Haushaltsverfahren verankert werden.

Arbeit wird in Deutschland höher besteuert als in den meisten anderen OECD-Ländern, wodurch sich das Arbeitsangebot – vor allem von Zweitverdienenden und Geringqualifizierten – verringert. Etwa 48 % der Frauen arbeiten in Teilzeit und viele sind für ihre Tätigkeit überqualifiziert. Durch eine Verlagerung der Steuerlast vom Faktor Arbeit hin zu anderen Steuern, wie z. B. Kapitalertrag-, Grund-, Erbschaft- und Verbrauchsteuern, und eine Reform der steuerlichen Zusammenveranlagung von Ehepaaren und Lebenspartnerschaften könnte das Arbeitsangebot erhöht werden.

Die effektiven Steuersätze bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind gering, vor allem für wohlhabende Haushalte, und die Vermögensungleichheit ist hoch. Wenn die Freibeträge und die Befreiungen für Betriebsvermögen verringert und gleichzeitig die Möglichkeiten zur Zahlung der Steuern in Raten ausgeweitet würden, könnte das Steueraufkommen erhöht und die Ungleichheit verringert werden.

Der Abbau von Steuervergünstigungen für Immobilien und von Umsatzsteuervergünstigungen und die Anhebung der Grundsteuern würden Marktverzerrungen verringern, für mehr Gerechtigkeit sorgen und das Steueraufkommen erhöhen. Steuervergünstigungen für Einkünfte aus dem Verkauf und der Vermietung von Immobilien sind regressiv, führen zu einer Fehlallokation von Kapital und befördern so den Anstieg der Wohnimmobilienpreise. Viele Kommunen leiden unter Einnahmenschwankungen, und ihre Einnahmen aus der Grundsteuer sind trotz stark gestiegener Immobilienpreise im internationalen Vergleich gering.

Ein besserer Steuervollzug ist wichtig, um faire Rahmenbedingungen zu schaffen und das Steueraufkommen zu erhöhen. Großunternehmen und wohlhabende Haushalte nutzen häufiger Strategien der Steuervermeidung oder -hinterziehung und senken so ihre effektiven Steuersätze. Kleinere Unternehmen bzw. andere Steuerpflichtige sind dadurch benachteiligt. Voraussetzung für einen effektiveren Steuervollzug sind bessere Anreize für die Bundesländer, ihre Steuervollzugskapazitäten auszubauen, sowie eine bessere IT-Infrastruktur und Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern, die eine stärkere Spezialisierung und ein gezielteres Vorgehen ermöglichen würde.

Im Kampf gegen Geldwäsche und Korruption wurden gewisse Fortschritte erzielt. Die Qualität der Daten zu Vermögenseigentümer*innen und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen und Ebenen ist aber immer noch gering. Wenn ein Bundesfinanzkriminalamt eingerichtet und ausreichend mit Ermittlungsbefugnissen und qualifiziertem Personal ausgestattet wird und den nötigen Datenzugang erhält, könnten die Kapazitäten zur Bekämpfung komplexer Fälle von Finanzkriminalität und Geldwäsche deutlich gesteigert werden. Eine hinreichende Personal- und IT-Ausstattung, um das neue Lobbyregister um- und durchzusetzen und durch eine legislative und regulatorische Fußspur zu ergänzen, würde helfen, Lobbyaktivitäten transparenter zu machen.

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bietet das Potenzial, die Ausgabeneffizienz, das Wachstum und die Wohlfahrt bedeutend zu steigern. Der hohe Verwaltungsaufwand behindert insbesondere junge und innovative Unternehmen und beeinträchtigt die Unternehmensdynamik und die Innovationstätigkeit. Mit dem Onlinezugangsgesetz wurde der Onlinezugang zu Verwaltungsleistungen ab 2023 verbindlich festgeschrieben. Allerdings wurde es versäumt, verbindliche einheitliche Standards für die Gestaltung und Verknüpfung von Daten und IT-Tools für alle Verwaltungsebenen einzuführen. Durch die Einrichtung einer zentralen und transparenten E-Vergabe-Plattform und die Förderung gemeinsamer Beschaffungsinitiativen der Kommunen ließe sich die Ausgabeneffizienz erheblich steigern. Zur Digitalisierung des öffentlichen Sektors müssen zudem die Kompetenzen der öffentlich Bediensteten weiterentwickelt werden. Dies erfordert bessere Personalauswahlverfahren, Anreizstrukturen und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Deutschland emittierte 2021 39 % weniger Treibhausgase als 1990 und hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu sein. Dazu muss das Tempo der Emissionsminderung allerdings verdreifacht werden. Durch die hohen Energiepreise und die Notwendigkeit, Energieimporte aus Russland zu ersetzen, ist die Entschlossenheit zu handeln gestiegen.

Die Emissionsbepreisung kann ein wirksames Instrument zur Emissionsminderung sein. Aufgrund zahlreicher Steuervergünstigungen und Subventionen ist jedoch das effektive Emissionspreisniveau zu niedrig; zudem ist es zu unvorhersehbar und variiert erheblich zwischen den verschiedenen Sektoren. Um für stärkere Preissignale zu sorgen, gilt es, die Emissionsobergrenze im nationalen Emissionshandel an den nationalen Klimazielen auszurichten, Subventionen und Steuervergünstigungen für fossile Energieträger abzubauen und mehr Gebrauch von Maßnahmen zu machen, die die regulatorischen Risiken von grünen Investitionen verringern.

Eine stärkere Emissionsminderung könnte energieintensive Branchen gefährden, die internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind. Durch produktionsgebundene Subventionen und Subventionen für erneuerbare Energien können diese Branchen unterstützt werden, solche Subventionen sind jedoch kostspielig und führen zu höheren Emissionen in anderen Ländern. Den Risiken für diese Branchen könnte durch gestraffte Planungs- und Genehmigungsverfahren für Projekte im Bereich erneuerbare Energien, Subventionen für grüne FuE und internationale Abkommen zugunsten einer weltweit schnelleren Emissionssenkung wirksamer begegnet werden.

Die Klimawende erfordert eine Umverteilung von Arbeit zwischen Sektoren und Unternehmen und droht die Ungleichheit zu erhöhen. Arbeitskräfte aus CO2-intensiven Sektoren, die ihre Arbeit verlieren, erleiden dauerhaftere und höhere Verdiensteinbußen als andere Arbeitskräfte, da sie in der Regel älter, in spezifischeren Berufen tätig und geografisch stark konzentriert sind (Abbildung 3). Durch die Ausweitung von Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik – insbesondere auf berufliche Aus- und Weiterbildung sowie Mobilitätszuschüsse – könnten die Anpassungskosten für die betroffenen Arbeitskräfte gesenkt werden. Bessere Möglichkeiten der Erwachsenenbildung und das Angebot von Teilqualifikationen kombiniert mit der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen könnten es gerade Geringqualifizierten leichter machen, sich beruflich weiterzubilden. Wenn Einnahmen aus der CO2-Bepreisung genutzt werden, um private Haushalte zu unterstützen, können die negativen Verteilungseffekte insgesamt verringert werden.

Durch die stufenweise Abschaffung von nicht gezielten Subventionen sowie von Subventionen für ausgereifte Technologien könnte der Klimaschutz kosteneffizienter werden. Im Gebäudesektor sollten nicht gezielte Subventionen durch Mindesteffizienzstandards und Energieausweise für den Gebäudebestand ersetzt werden; finanzschwachen Haushalten sollte dabei durch staatlich geförderte Kredite geholfen werden. Im Verkehrssektor sollte sich der Schwerpunkt von der Subventionierung von E-Autos auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur verlagern, wobei es gilt, den Wettbewerb zwischen den Ladesäulenbetreibern zu stärken. Wenn die öffentlichen Investitionen in die Schiene weiter erhöht, die Digitalisierung der Kontroll- und Signalsysteme beschleunigt und der Wettbewerb verstärkt würden, ließe sich die Verkehrswende leichter herbeiführen.

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Originaltitel: OECD (2023), OECD Economic Surveys: Germany 2023, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9642a3f5-en.

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