Deutschland

Die Gesamtbeschäftigung erreichte im OECD-Raum Ende 2021 wieder Vorkrisenniveau und ist in den ersten Monaten des Jahres 2022 weiter gestiegen. Die Arbeitslosenquote ist im OECD-Raum seit ihrem im April 2020 erreichten Höchststand von 8,8 % schrittweise gesunken. Im Juli 2022 lag sie bei 4,9 % und damit leicht unter dem im Dezember 2019 verzeichneten Wert von 5,3 %. Die Erholung der Arbeitsmärkte verlief jedoch unterschiedlich je nach Land und Branche und ist noch nicht abgeschlossen. Die wirtschaftlichen Folgen des unprovozierten, ungerechtfertigten und völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine gefährden nun ihre Dauerhaftigkeit.

  • In Deutschland ist die Arbeitsmarktlage im Vergleich zu anderen OECD-Ländern gut. Die Arbeitslosenquote lag im Juli 2022 bei 2,9 % und damit sowohl unter dem OECD-Durchschnitt von 4,9 % als auch unter dem im Dezember 2019 in Deutschland verzeichneten Wert von 3,1 %.

  • Für Deutschland besteht die beschäftigungspolitische Herausforderung in den kurzen Arbeitszeiten: Die Zahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden je Beschäftigte*n ist niedriger als in allen anderen der 38 OECD-Länder und um 21 % niedriger als im OECD-Durchschnitt. Zum Teil sind diese kurzen Arbeitszeiten unfreiwillig oder politikbedingt.

  • Die Anhebung der Arbeitsstundenzahl von Teilzeitkräften bzw. Arbeitskräften in atypischen Beschäftigungsverhältnissen würde in Deutschland die Arbeitskräfteengpässe verringern und sowohl das Wachstum fördern als auch die Inflation dämpfen. Insbesondere die Zahl der von Frauen, Geringqualifizierten und älteren Arbeitskräften geleisteten Arbeitsstunden kann durch die Politik beeinflusst werden. Weitere Möglichkeiten sind die Förderung der Zuwanderung von Fachkräften und die Erleichterung der Erwerbsarbeit für ukrainische Geflüchtete, beispielsweise durch die Ausweitung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Die Zahl der offenen Stellen hat im OECD-Raum ein Rekordniveau erreicht, und in vielen Branchen und Ländern wird immer häufiger von Arbeitskräfteengpässen berichtet. Dennoch ist das Nominallohnwachstum deutlich geringer als die Inflation, die wegen des Rohstoffpreisanstiegs, der durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschleunigt wird, in die Höhe geschnellt ist. Im Jahresverlauf 2022 wird mit einem weiteren Rückgang der Reallöhne in den OECD-Ländern gerechnet, da die Inflation deutlich über den für 2022 ausgehandelten Nominallohnerhöhungen liegen dürfte.

  • Die Zahl der offenen Stellen ist in Deutschland hoch und es bestehen erhebliche Arbeitskräfteengpässe. Für August 2022 meldete die Bundesagentur für Arbeit 862 700 unbesetzte Stellen – 22 % mehr als im Dezember 2019. Im Juli und August ist die Zahl der offenen Stellen aber auch zum ersten Mal seit dem coronabedingten Einbruch des Jahres 2020 zwei Monate in Folge gesunken. Der Anteil der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, die über Produktionsengpässe aufgrund von mangelndem Personal berichten, hat sich in Deutschland im zweiten Quartal 2022 verglichen mit den vier Jahren vor der Pandemie von 19 % auf 38 % verdoppelt. Im Dienstleistungssektor stieg er von 25 % auf 40 %.

  • Für 2022 wird in Deutschland mit einem Rückgang der durchschnittlichen Reallöhne um 2,6 % (Abbildung 1) bei einer Erhöhung der Inflation auf 7,2 % gerechnet. Der voraussichtliche Reallohnrückgang fällt damit etwas stärker aus als im OECD-Raum insgesamt. Besser sieht es bei den Geringverdienern aus: Der Mindestlohn gewann in Deutschland in den zwölf Monaten bis Juli 2022 real 1,2 % an Wert.

  • Den Tarifverhandlungen und der „Konzertierten Aktion“, an der Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände beteiligt sind, kommt eine wichtige Rolle dabei zu sicherzustellen, dass keine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird und dass schwache Bevölkerungsgruppen die höheren Lebenshaltungskosten schultern können. Ein möglicher Ansatz hierfür – der in Deutschland in der Chemieindustrie und auch auf verwandte Weise in Italien und den Niederlanden gewählt wurde – ist eine Einmalzahlung für alle Beschäftigten, bei der das Gehaltsplus für geringer bezahlte Arbeitskräfte prozentual höher ausfällt.

Russlands Krieg gegen die Ukraine bringt neue Herausforderungen mit sich. Unter seinem Einfluss ist die Inflation auf den höchsten Wert seit Jahrzehnten geklettert, insbesondere aufgrund steigender Preise für Energie und Rohstoffe. Einkommensschwache Haushalte, die einen großen Teil ihrer knappen Budgets für Energie und Nahrungsmittel aufwenden, sind davon besonders betroffen. In den OECD-Ländern, für die Daten vorliegen, wenden Haushalte im untersten Einkommensquintil im Schnitt einen um 50 % größeren Anteil ihres Konsumbudgets für Nahrungsmittel und Energie auf als Haushalte im obersten Einkommensquintil. Gezielte Unterstützung, die häufig in Form von Transferleistungen erfolgt (Abbildung 2), ist mit geringeren Kosten für den Staatshaushalt verbunden, führt in Zeiten hoher Inflation zu einer geringeren Expansion der Nachfrage und lässt sich besser mit der ökologischen Wende vereinbaren.

  • Die Energiepreise sind in Deutschland stark gestiegen. Die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland ist hoch: Vor Beginn des Ukrainekriegs deckte Deutschland ein Drittel seines Energiebedarfs aus russischen Quellen. Die deutsche Wirtschaft sieht sich daher mit der Herausforderung konfrontiert, neue Energiequellen zu erschließen. Zugleich drohen Versorgungsausfälle, die den Arbeitsmarkt auf eine harte Belastungsprobe stellen würden.

  • Der Ergänzungshaushalt für 2022 sah Mehrausgaben in Höhe von 1,1 % des BIP vor, um den Energiepreisanstieg abzufedern. Er umfasste eine dreimonatige Absenkung der Kraftstoffsteuer, eine Erhöhung der Entfernungspauschale, Entlastungen im öffentlichen Nahverkehr, die Abschaffung der EEG-Umlage sowie verschiedene Einmalzahlungen und Einkommensteuersenkungen für private Haushalte. Am 4. September 2022 kündigte die Bundesregierung ein neues Entlastungspaket in Höhe von schätzungsweise 1,8 % des BIP an. Zur Unterstützung der privaten Haushalte wurden Einmalzahlungen für Studierende und Rentner*innen, eine Ausweitung des Wohngelds, höhere Leistungen für Kinder und höhere Grundsicherungsleistungen, eine Entlastung bei den Beiträgen zur Sozialversicherung für Geringverdienende sowie eine Anpassung der Eckwerte im Einkommensteuertarif an die erwartete Inflation beschlossen.

  • Die neuen Entlastungsmaßnahmen sind gezielter auf einkommensschwache Haushalte ausgerichtet, die die Hilfen am dringendsten benötigen: In Deutschland wenden die untersten 20 % der Einkommensverteilung 23 % ihrer Ausgaben auf Energie und Nahrungsmittel auf. Für die obersten 20 % beträgt dieser Anteil nur 15 %. Bei einigen der vorherigen Maßnahmen, wie etwa der Absenkung der Kraftstoffsteuer, kamen erhebliche öffentliche Mittel undifferenziert allen Haushalten zugute. Solche fiskalischen Impulse verringern die Anreize, Energie zu sparen, und stehen im Widerspruch zu den Initiativen zur Senkung des Energieverbrauchs, die Deutschland aus Gründen des Klimaschutzes und der Energiesicherheit ergriffen hat.

Kontakt

Oliver DENK ( [email protected])

Stéphane CARCILLO ( [email protected])

Dieser Text wurde vom Deutschen Übersetzungsdienst der OECD übersetzt. Der englische und der französische Text sind die einzigen amtlichen Fassungen.

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Originaltitel: Germany

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